Die zweite Phase des seit Ende vergangenen Jahres andauernden „eingeschränkten Pandemiebetriebs“ der Kindertagesstätten und Kindergärten nähert sich in NRW wie in vielen anderen Bundesländern ebenso dem Ende wie auch die ausschließlich digitale „Beschulung“ von Kindern und Jugendlichen.
Alle Eltern, mit denen ich seit diesem Beschluss im Austausch war, äußerten sich darüber erleichtert. Und auch ich sehne mir eine Entlastung herbei. Zu herausfordernd war es, weitreichendere als die bis dato gewohnte Bildungs- und Erziehungsverantwortung zu übernehmen und zu sehr veränderte dies zuletzt den Alltag.
Meiner Meinung nach trifft nicht zu, was viele sagen: Es sei halt lediglich eine Doppelbelastung von familiären und beruflichen Aufgaben, derer man sich als Elternteil nun schon seit Mitte Dezember (wieder) ausgesetzt sieht. Es ist vielmehr ein so tiefgreifender Einschnitt in den familiären, beruflichen und persönlichen Alltag, dass mir diese Beschreibung bei Weitem nicht ausreichend erscheint – auch und besonders bezogen auf die Abbildung der mannigfaltigen und in vielerlei Hinsicht (noch) nicht sichtbaren bzw. messbaren Folgen dieser Tatsachen. Deshalb empfinde ich eine Simplifizierung der realen und emotionalen (Sach-)Lage teilweise als höhnisch.
Für mich sind neben anderen auch viele Eltern Held_innen der jetzigen Zeit:
Indem sie alles dafür geben, ihre Kinder in deren aktuell besonderen Bedürftigkeit aufzufangen, ihnen nicht „nur“ Mutter oder Vater, sondern auch bzw. mehr und bewusster als bislang Freund_in, Spielkamerad_in, Gesprächspartner_in, Erzieher_in, Sozialarbeiter_in, Lehrer_in, Seelsorger_in zu sein. Indem sie alles daransetzen, als Arbeitnehmer_innen weiterhin mit demselben Engagement und Eifer produktiv und fokussiert ihre Aufträge zu erledigen, berufliche Termine in Zeiten der Kinderbetreuung zu integrieren und, wie nicht selten gefordert, trotz allem flexibel erreichbar und einsatzfähig zu sein. Indem sie im Haushalt den hinzugekommenen Anforderungen nachkommen, wie z.B. der Bereitstellung von mehr täglichen Mahlzeiten als sonst für mehr Familienmitglieder als sonst und sämtlicher damit anfallender Aufgaben wie häufigerem Einkaufen und Putzen, die sich (mindestens unter der Woche) aus dem Wegfall der „Über-Mittag-Betreuung“ der Kinder in vielen Fällen ergibt. Indem sie noch mehr als zuvor auf Zeit für ihre persönliche Regeneration und/oder partnerschaftliche Unternehmungen verzichten (müssen). Indem sie jeden Tag auf’s Neue darum bemüht sind, für alle Beteiligten „das Beste“ aus der Situation zu machen, Lösungen für die jeweils aktuellen Probleme und Herausforderungen zu finden, aushalten, wenn bei ihren Liebsten die Nerven mal „blank“ liegen und dabei nicht selten ihre eigenen Bedürfnisse, Sorgen, Entkräftung und Ängste hintenanstellen.
Diese Aufzählung lässt vielleicht im Ansatz die von Vielfachbelastung, innerer Zerrissenheit und Erschöpfung geprägten Umstände erahnen, mit denen sich viele Eltern seit Monaten konfrontiert sehen – und dabei ließe sie sich sicherlich noch weiter fortführen.
Kinderbonus, ein Plus an Kinderkrankentagen und ähnliche von politisch Verantwortlichen beschlossene und diskutierte Maßnahmen zur Würdigung der außergewöhnlichen Leistung von Eltern in dieser Ausnahmezeit nehme ich als Mutter dankend an. All das kann jedoch nicht ermessen, was es täglich an Einsatz, Kraft, Mühe, Organisation, Energie und Nerven kostet, den „Familienalltag“ aufrechtzuerhalten.
Verstecken sich hier nicht folgende Grundsatzfragen: Wieso stellt die (nicht nur, aber auch finanzielle) Honorierung dessen, was Eltern, i.d.R. noch immer insbesondere Mütter, tagtäglich leisten, eigentlich so eine Herausforderung dar? Und: Wie lässt sich das ändern?
Einerseits sind wir als Gesellschaft, die sich selbst als „Wirtschaftsnation“ bezeichnet, auf die Reproduktion von Arbeitskräften angewiesen. Andererseits wird ebendiese nicht als „klassische“, im Sinne einer einer Erwerbstätigkeit gleichgestellten und in diesem Sinne auch gleichwertig vergüteten und (sozial) anerkannten Arbeit angesehen.
Selbstverständlich kann man sich als Elternteil zwischendurch mal in einem ruhigen Moment selbst und/oder gegenseitig dafür auf die Schultern klopfen, wie gut man eine Herausforderung gemeistert hat – und sei es „nur“ der „normale“ Alltag. Bei all ihrer Einfachheit können solche Gesten im Sinne der (Selbst-)Zuwendung immerhin etwas Kraft, Mut und Zuversicht spenden.
Daneben braucht es jedoch – ebenso wie bei vielen anderen brisanten Themen aus dem großen Spektrum der Care-Diskurse – unbedingt ein Überdenken und Aufbrechen noch immer in unserer Gesellschaft tief verankerter und viel zu lange schon tradierter Werte und Normen. Es bedarf der Diskussion und Installation einer veränderten Wertschätzung der von unzählig vielen Eltern Tag für Tag erbrachten Leistungen sowie der Loslösung von normierten Familienbildern – und zwar mit in der Praxis spürbaren Konsequenzen i.S.v. merklichen Verbesserungen für diejenigen Menschen, die es betrifft.
Hinter all dem steht doch die Frage: Welche Relevanz schreiben wir der elterlichen Erziehungs- und Bildungsarbeit zu? Was ist sie uns – als Grundstein der Sozialisation und damit grundlegenden Prägung der uns nachfolgenden Generationen – letztlich wert?
Nicht nur, aber auch als Mutter und nicht nur, aber auch als Erziehungswissenschaftlerin meine ich: Wir sollten dazu bereit sein, in diesem Sinne (mehr) in die Zukunft unserer eigenen Gesellschaft zu investieren!
Nicht jede_r Held_in trägt ein Cape – manch eine_r trägt ein Kind auf dem Arm. Ist es nicht lohnenswert, (mehr als bisher) dazu beizutragen, diese „elterliche Tragfähigkeit“ dauerhaft zu stärken?
Bild/Quelle: Aswin on www.unsplash.com
Marion Riese ist Redaktionsmitglied von Care Lichtblicke und an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen als Wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig.