Das Lächeln der Mona Lisa – seit Jahrhunderten ist das Gemälde von Leonardo da Vinci eines der wertvollsten und am meisten bewunderten Bilder der Welt. Das Lächeln dieser Frau, geheimnisvoll und berührend, ist ein Anziehungspunkt für Millionen. Irgendwann im März tauchte ein Bild im Internet auf, da war die Mona Lisa mit Mund-Nase-Schutz zu sehen. Nur die Augen waren noch zu sehen. Und auf einmal hat das Gesicht fast sein ganzes Geheimnis verloren. Da ist kaum noch etwas bezaubernd. Das Lächeln der Mona Lisa – nichts Besonderes mehr. Besser kann man die Klage von Museen und Künstlern nicht zum Ausdruck bringen, dass auch das Leben der Kunst auf standby gesetzt ist.
Die Schutzmaske oder der Mund-Nase-Schutz: Das wird uns noch lange als Symbol dieser Zeit in Erinnerung bleiben. Erst recht, wenn nun auch immer mehr Menschen in ihrem Alltag, außerhalb von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, mit Mund-Nase-Schutz außer Haus gehen. Beim Einkaufen dieser Tage war ich erstaunt, wie viele Menschen sich offensichtlich von so einem Gesichtsschutz Sicherheit verssprechen. Ich merke in diesen Tagen besonders, wie sehr ein Gesichtsausdruck vom ganzen Gesicht abhängt. Der Gesichtsausdruck einer Kassiererin, wenn ich ihr wünsche, dass sie gesund bleibt – ich kann ihn nur erahnen, wenn sie eine Maske trägt.
Und so sehne ich mich danach, dass ich endlich wieder viele vollständige Gesichter sehen kann, dass ich ein Lächeln wahrnehmen kann und auch nachdenkliche oder ernste Gesichter, zu denen eben nicht nur die Augen gehören. Ich freue mich darauf, bald wieder in lachende, lächelnde, angestrengte, zufriedene, besorgte, traurige und frohe Gesichter sehen zu können, weil ich gelernt habe, sie zu lesen und zu verstehen. Mimik braucht das ganze Gesicht.
Manche der alten Darstellungen Gottes zeigen ein Auge innerhalb eines Dreiecks. Ältere Menschen haben noch in Erinnerung, dass das früher mit dem Spruch erklärt wurde. „Ein Auge ist, das alles sieht…“ Mir hat diese Darstellung nie gefallen. Und jetzt befremdet sie mich noch mehr. Wenn in der Bibel von Gottes Angesicht die Rede ist, dann stelle ich mir vor meinem inneren Auge ein liebevolles Gesicht vor, das mir begegnet und das ich verstehen kann. Und wenn in der Bibel die Frage an Gott auftaucht: „Wie lange verbirgst du dein Angesicht vor mir?“, dann ist damit ja auch gemeint, dass es für einen glaubenden Menschen in Sorge und Trauer auch wieder eine lebendige Erfahrung der Zuwendung Gottes geben muss. „Lass dein Angesicht über uns leuchten“ – die Bitte aus dem Buch der Psalmen wird derzeit für mich auch menschlich greifbar.
Hoffentlich bald wird der Gesichtsschutz verschwunden sein, wir werden einander wieder nicht nur in die Augen sehen können, sondern in das ganze Gesicht. Und vielleicht erst vorsichtig, dann aber mit immer mehr Vertrauen, können wir wieder aufeinander zugehen und auch für jeden sichtbar, ohne Maske, die Distanz überwinden, weil wir einander nicht mehr als Bedrohung wahrnehmen, sondern ganz einfach als Mitmenschen.
Veröffentlicht in „Wir!“, der Mitarbeiterzeitung der BBT-Gruppe, Barmherzige Brüder Trier gGmbH, April 2020.
Bild/Quelle: Vesna Harni / Pixabay
Dr. Peter-Felix Ruelius ist Theologe, lebt bei Wiesbaden und arbeitet bei der BBT-Gruppe (Barmherzige Brüder Trier gGmbH) in Koblenz. Zur BBT-Gruppe gehört auch das Brüderkrankenhaus St. Josef in Paderborn. Peter-Felix Ruelius ist bei der BBT-Gruppe zuständig für christliche Unternehmenskultur und Ethik.