Die Einflussnahme für ehrenwerte, jedoch nie linear zu denkende, politische Zielsetzungen ist seit Beginn der Demokratie ein besonderes Kunststück, gekonnter politischer Kommunikation. War bspw. im frühen 19. Jahrhundert das relativ abstrakte Bestreben der bürgerlichen Partizipationsrechte eher schwerlich zu verkaufen, halfen Wein und Geldgeschenke ungemein besser als Werbeträger für eine erhöhte Wahlbeteiligung. „Die Ausbreitung des Wahlrechts band sich (…) eng an Alkohol und monetäre Entlohnung für die Mühen der Stimmabgabe“ (Richter, 2020, S. 50.).
Gleichermaßen gestaltet es sich im spätmodernen Strukturwandel immer schwerer, dem finanziellen und ebenfalls nicht zu unterschätzenden, kulturellen Attraktivitätsgefälle gewisser Branchen entgegenzukommen. Sorgeberufe, Pflege- und Caretätigkeiten im Sozial- und Gesundheitswesen – wie offensichtlich gesellschaftlich notwendig sie auch sein mögen – erleben seit Jahren eine immense materielle, wie auch kulturelle Abwertung. Nachwuchssorgen und Fachkräftemangel sind keine hypothetischen, sondern alltäglichen Problemmuster, mit zunehmend frappierender Auswirkungen. Erschöpfte Selbstverwirklichung ist kein guter Slogan für eine Berufsorientierung. Das Attraktivitätsgefälle dieser Tätigkeiten ist ein enormes Problem für komplexe, netzwerkartig strukturierte Gesellschaften. Es mag allerspätestens seit der Corona-Pandemie eine Binsenweisheit sein, die nichtsdestotrotz momentan einen zusätzlichen Anschub erfährt und deren Behebung und Behandlung zuweilen noch recht diffus bis insuffizient bleibt. So viel steht fest; Beifall, Alkohol- und Verzehrgutscheine werden zur Behebung der aktuellen Zukunftstriage im Gesundheitswesen nicht ausreichen.
Wenn dann doch die Form dieser Arbeiten in kulturellen Diskursen oder kulturellen Repräsentationen vorkommt, dann eher als Objekt des Mitleids, oder als eine Gruppe von Unsichtbaren, die zu schlecht behandelt wird (vgl.: Reckwitz, 2020, S. 15). Das Beifallklatschen vom Balkon ist beides, intentionale Anerkennung und phänomenal-distanziertes Mitleid. Diese Gedanken im Sinn war, besonders für die vielen engagierten, gut und spezialisiert ausgebildeten Pflegekräfte, die sicherlich ehrenvoll gemeinte Imageserie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) „Ehrenpflegas“ wohl eher eine Schmähung und Höhne, als eine Anerkennung und Hilfe zur adäquaten Visualisierung. „Das Format soll vor allem junge Menschen ansprechen und sie ermuntern, sich mit dem Pflegeberuf zu beschäftigen.“ (BMFSFJ, 2020). Ob jene Intention des ca. 700.000€ schweren Formats (vgl.: Deutschlandfunk) zur Gewinnung junger, hoffnungsvoller Nachwuchs(Fach)kräfte besser aufgeht, als bspw. ein nachhaltiges Bestreben im Aufbrechen des Wettbewerbsparadigmas im Pflegesektor, ist zu bezweifeln (vgl.: Borutta, 2020, S. 105ff.).
Sicherlich, auch diese Zeilen werden aus zweiter Reihe geschrieben. Daher ist einer, dieser top aus- und weitergebildeten Pflegefachkräften zu danken, die sich unseren Fragen bzgl. der symbolischen (und damit immer auch real-emotionalen) Wirkungen des Formats stellt. Sie betont, dass es Ihr um Inhalte gehe, weswegen Ihr Name nicht genannt werden solle. Wir respektieren diese, in der Tat ehrenvolle, Haltung selbstverständlich und bedanken uns, dass Sie sich die Zeit genommen hat, uns mit Ihren Antworten und Einblicken zu beschenken.
- Was haben Sie vor Beginn der Pandemie in Ihrer Tätigkeit gemacht und welche Themen haben Sie zu dieser Zeit beschäftigt?
“Einrichtungsleitung einer Tagespflege. Unser Team war sehr offen für Neues, unkonventionelles Arbeiten und immer mit emphatischem Blick auf den zu Pflegenden. Wir probierten gerne ‚außergewöhnliches‘ aus, wie z.B. die supernurse App (https://supernurse.de/app/#WarumSuperNurse) und haben ein eigenes Dokumentationsmodell erarbeitet. Wir haben zwei ausgebildete Begleiter in der Seelsorge im Team und, deren Arbeit wir in einem Transferforschungsprojekt nochmals vertieft in unser ganzheitliches Konzept integrieren wollten.”
- Wie hat sich dies in der Pandemiezeit verändert?
“Im März mussten wir die Tagespflege schließen und wurden zur Krisenbewältigung auf unterschiedliche Einrichtungen ambulanter und stationärer Pflege des Trägerverbundes verteilt. Dies bedeutete für mich, viele stützende Mitarbeitergespräche, auch in der Freizeit, sowie ein Einfinden in ein komplett fremdes Umfeld, unter sehr brisanten Rahmenbedingungen, für jeden von uns. Das Team wurde nach 8 Wochen wieder gemeinsam zum Aufbau einer Quarantänestation zusammengeführt. Auch hier war es schwierig, da nun die körperliche Pflege im Vordergrund stand und die Bewohner in Isolation für max. 14 Tage bei uns blieben. Für unser Team bedeutete dies eine enorme emotionale Belastung. Nun ist die Tagespflege unter einem besonderen Hygiene- und Schutzkonzept wieder in Betrieb. Es ist natürlich eine komplett andere Arbeit und wir beschäftigen uns mit der Aufarbeitung der emotionalen Belastung mit Teamsitzungen und Coaching.”
- Sie haben auch den neuen Werbefilm-/Serie für Pflegeberufe wahrgenommen – was macht das mit Ihnen?
“Diese Serie hat mich zutiefst erschüttert. Die generalistische Pflegeausbildung bietet eine fachlich kompetente Ausbildung, mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die drei Darsteller zeigen eine Welt, die nicht die unsrige ist und eine Beleidigung jeder Pflegefachkraft. Es ist nicht witzig eine Sterbebegleitung mit Game of Thrones zu vergleichen. Wir sind keine Nerds, Models oder Looser, sondern qualifizierte systemrelevante Berufler.”
- Was würden Sie uns und anderen Menschen gerne mit auf den Weg geben?
“Ich bin seit 29 Jahren in der Altenpflege tätig. Mir ist wichtig, dass wir ernstgenommen werden als Berufsgruppe, die tatsächlich systemrelevant ist und entsprechend bezahlt wird. Sicherlich kann nicht jeder „Pflege“…… Es ist ein fantastischer Beruf mit vielen verschiedenen Facetten und ich würde mich gerne zur Verfügung stellen, um den verantwortlichen Ministern die Vielfältigkeit, die Qualität sowie das hohe Arbeitsaufkommen, aber auch die schönen Seiten einer Pflegefachkraft aufzuzeigen.”
Literatur- und Quellenverzeichnis
Borutta, Manfred: „Wer ist denn nun für uns zuständig?“ – Systemimmanente Grenzen einer marktförmigen und organisationalen Pflege. In: Ketzer, Ruth; Adam-Paffrath, Renate; Borutta, Manfred; Selge, Karola (Hrsg.): Ambulante Pflege in der modernen Gesellschaft. Aktuelle Bestandsaufnahme und Zukunftsperspektiven. Kohlhammer. 2020.
Reckwitz, Andreas: „Es gibt eine Gewinner-Verlierer-Struktur in unserer Gesellschaft“. Interview in: Stadler, Wolfgang (Hrsg.): Sonderband Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit. Gefahr Ungleichheit. Wie die Zersetzung der Demokratie verhindert werden kann. Beltz. Juventa. 2020.
Richter, Hedwig: Demokratie. Eine deutsche Affäre. Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. C.H.Beck. 2020.
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/serie-ehrenpflegas-gestartet-1797950
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Johannes Mertens, ist Redaktionsmitglied von Care-Lichtblicke, wohnt in Aachen und arbeitet dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Katholischen Hochschule NRW.