Natalie S. ist als ausgebildete Erzieherin seit 13 Jahren in einer Kindertagesstätte tätig. Lange Zeit arbeitete sie dort in einer Gruppe für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren; mittlerweile ist sie in den U3-Bereich gewechselt.
In den letzten Wochen war ich vor allem damit beschäftigt…
mich mit neuen Regelungen und Hygieneplänen auseinanderzusetzen, die u.a. umfassen, in der Kita täglich jeden einzelnen „Legostein“ zu desinfizieren, Kinder immer wieder zu „Waschritualen“ zu motivieren und, nicht zu vergessen, Abstand zu halten.
Seit drei Jahren arbeite ich in einer Gruppe für Kinder in einem Alter von null bis drei Jahren, und für mich persönlich ist der Schwerpunkt hier neben der pädagogischen Arbeit und dem Recht auf Bildung vor allem die familienergänzende Position. Viele der Kinder verbringen fast mehr Zeit in der Kita als zu Hause und sind immer wieder auf Zuwendung, Körpernähe und Trost angewiesen. Für mich war es zu Pandemiebeginn unvorstellbar, im Kontakt mit den Kindern auf Abstand zu gehen und dabei auch noch eine Atemschutzmaske zu tragen. Den Bedürfnissen der Kinder so nachzukommen hielt ich für vollkommen unmöglich. In den ersten Tagen habe ich damals daher nach Möglichkeiten gesucht, Kompromisse zu finden. Dazu ein Beispiel aus den ersten Tagen der Pandemie:
Ein Mädchen hatte sich an meine Schulter gelehnt und ich ahnte, es wollte vielleicht auf meinen Schoß. Es erwähnte in unserem Gespräch damals mit keinem Wort, dass es das wollte, aber es schaute mich mit seinen Augen traurig an. Ich habe dem Mädchen damals meine Hand auf seine Schulter gelegt und versucht, ihm dadurch Halt zu geben, ohne noch mehr körperliche Nähe zuzulassen. Am nächsten Morgen wurde ich dann im Austausch mit seiner Mutter überrascht. Das Mädchen hatte ihr erzählt, dass ich es nicht auf den Schoß hatte nehmen wollen, und wohl gesagt: „Frau S. hat mich nicht auf den Schoß genommen, obwohl ich traurig war.“ Das hat mich sehr berührt.
Für mich war in dem Moment klar, dass ich es ab jetzt in Kauf nehmen muss, mit der Unsicherheit in Bezug auf körperliche Nähe klarzukommen. Ich laufe nicht mit offenen Armen in die Einrichtung, aber ich gebe Zuwendung und Trost auch durch körperlichen Kontakt, wenn es nötig ist. Mein Gesicht „verstecke“ ich nur hinter einem Mund-Nase-Schutz in Bring- und Abholsituationen, denn Emotionen (auch) durch Mimik zu zeigen und auch auf die Empfindungen und Gefühle der Kinder mimisch zu reagieren, halte ich für enorm wichtig, was die kindlich-emotionale Entwicklung angeht.
Mein persönlicher Care-Lichtblick ist momentan…
wie bei vermutlich vielen Menschen die Möglichkeit der Impfung. Die Hoffnung auf Schutz vor dem Virus ist das, was uns „bei der Stange“ hält. Die Hoffnung darauf, einfach unbeschwert zur Arbeit gehen und uneingeschränkt Spielkreise mit den Kindern durchführen zu können, auf spontanen Austausch mit den Eltern und darauf, wieder nach Lust und Laune mit den Kindern singen und spielen zu können – ohne ein schlechtes Gewissen und/oder Angst zu haben.
Ein Lichtblick ist für mich auch, wie gut die Kinder mit der Situation umgehen. Sie mögen „die Coronas“ nicht, aber sie stellen sich ihnen mutig entgegen, obwohl sie den Virus kaum verstehen. Für sie ist klar: Wegen „Corona“ dürfen wir vieles nicht und wir vermissen unsere Freunde – aber wenn „die Coronas“ wieder weg sind, dann starten wir richtig durch und alles wird wieder gut. Einen Zweifel am „Happy End“ haben die Kinder nicht – daran nehme ich mir ein Beispiel. Sie können in ihrem Optimismus und ihrer Zuversicht für uns ein Vorbild sein und uns Kraft geben, Lichtblicke zu sehen.
Sich um andere zu sorgen, bedeutet für mich…
Alltag. Jeder Tag beginnt damit und hört auch damit auf. Ich sorge dafür, dass die Kinder die Hygienemaßnahmen einhalten, die Kinder werden grundpflegerisch versorgt und v.a. bemühen wir uns darum, jedem einzelnen Kind mit all seinen Grundbedürfnissen individuell gerecht zu werden: Bist du müde oder traurig? Hast du etwas auf dem Herzen? Meine Augen und Ohren sind offen für dich. Ich höre dir zu und du kannst mir Dein Herz öffnen.
Egal, ob es um den Bildungsauftrag, eine kleine Verletzung oder „Herzschmerz“ geht – fast jede Tätigkeit im Kita-Alltag ist mit Fürsorge verbunden. In Corona-Zeiten ist diese Fürsorge besonders wichtig, da viele Regeln und Einschränkungen die Kinder verwirren und verunsichern. Kindgerechte Erklärungen, Trost und eine positive Sichtweise helfen allen Beteiligten, besser durch diese Zeit zu kommen. Auch die Kolleg_innen und Eltern müssen dafür sorgen, dass es einen Austausch und einen Zusammenhalt gibt und dieser erhalten bleibt.
Wir müssen füreinander sorgen – ohne das geht es nicht.
Meine Vorstellung von einer „Sorgenden Gemeinschaft“ umfasst…
vieles von dem, was ich bereits genannt habe, also werde ich mich auf zwei Punkte beschränken.
Wir sorgen füreinander, wenn wir Rücksicht aufeinander nehmen. Die Pandemie wirbelt viele Ängste auf, mit denen jede_r unterschiedlich umgeht. Besonders unter den Kolleg_innen nehme ich wahr, dass jede_r erstmal ihren/seinen eigenen Weg in der „Corona-Krise“ finden musste.
Eine Kollegin fühlte sich beispielsweise von Anfang an wohler mit Mundschutz und musste für das Tragen anfangs den einen oder anderen Spruch (z.B. aus der Elternschaft) „schlucken“. Ich finde, als Gemeinschaft sollte man die unterschiedlichen Bedürfnisse und Ängste der Menschen akzeptieren und respektieren. Wenn sich meine Kollegin wohler damit fühlt, wenn ich auf zusätzlichen Abstand zu ihr gehe, versuche ich, auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Das Gleiche würde ich mir von ihr schließlich auch erhoffen.
Ein weiterer Punkt einer „Sorgenden Gemeinschaft“ ist für mich, dass jede Meinung zählt. Das Reden über „Corona“, über das, was die Pandemie mit uns macht und wie wir am besten damit umgehen, hilft, gemeinsam diese Zeit zu meistern.
„Gemeinsam sind wir stark!“ Weil ich das so sehe, habe ich für diesen Blog-Beitrag meine Kolleg_innen gefragt, was ihnen als Erstes zum Thema „Corona“ auf der Zunge liegt:
Die Einrichtungsleitung sagte dazu: „Es ist belastend, dass die Politik ständig neue Weg einschlägt und ich den Eltern keine klare Angabe bzw. Hoffnung machen kann, wann ihre Kinder wieder regulär die Kita besuchen können. Ich würde die Eltern gerne entlasten, weil zu Hause gefühlt allen die Decke auf den Kopf fällt, aber die Angst vor Ansteckung ist groß.“
Meine Kollegin S. ist seit Langem in Angst um ihre Mutter und gehört auch selbst zur Risikogruppe: „Ich schütze mich mit einem Mundschutz und der Abstandsregelung, so gut es eben geht.“
Kollegin H. findet die Situation einfach ermüdend.
Ich will ehrlich sein: Viele meiner Kolleg_innen hatten keine Motivation, einen Kommentar abzugeben. „Corona“ macht mürbe.
Wir Erzieher_innen müssen funktionieren. Wir alle versuchen, einfach weiterzumachen, bis die Situation sich bessert.
Ich werde mich weiterhin dafür einsetzen, dass…
die Kinder in der Corona-Zeit auch Normalität und Sicherheit erfahren, indem gewohnte Abläufe und (Spiel-)Angebote im möglichen Rahmen weiterhin umgesetzt werden.
Auch Transparenz und Offenheit den Eltern gegenüber müssen in Form von Informationen und wenigstens „Tür- und Angelgesprächen“ über die persönlichen Sorgen und Lebenssituationen am Leben gehalten werden. Viele der Eltern sind versunischert, machen sich viele Gedanken über die allgemeine „Corona-Situation“ und haben auch mit Gewissensbissen ihren Kindern und/oder ihrer Arbeit gegenüber zu kämpfen.
Es lohnt sich, Einsatz zu zeigen, wenn es um Zusammenhalt geht. Wir Erzieher_innen müssen untereinander zusammenhalten und auch die Kinder und Eltern an die Hand nehmen. Wirklich gut funktionieren wir nur als Einheit – ob mit oder ohne „Corona“.
Hoffentlich bleibt nach „Corona“…
die Hilfsbereitschaft untereinander und mehr ruhige Familienzeit. Wir alle leben in einer Welt, in der vieles schnell gehen muss und oft beide Elternteile berufstätig sind. Auch ich zähle zu diesen Menschen. Irgendwie verliert man den Fokus, auch mal zu entschleunigen und einfach nur mit der Familie Zeit zu verbringen. Dabei ist diese Zeit so wertvoll.
In der Kita bewusst(er) mehr Freispiel anzubieten und die Kinder nicht ständig zu fordern und zu überfordern ist bedeutend, damit sich die Kinder frei entfalten können. Auch das nehme ich aus dieser Zeit mit.
Ab und zu aus diesen Kreisläufen auszubrechen und ganz bei sich zu sein, ist etwas, was wir in der „Corona-Zeit“ üben und aus ihr lernen können.
Bild/Quelle: Das Bild hat Lotte (5 Jahre alt) gemalt. Sie besucht die Kindertagesstätte, in der Natalie S. als Erzieherin tätig ist.
Marion Riese ist Redaktionsmitglied von Care Lichtblicke und an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen als Wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig.