Mitunter führt es zu stark ambivalenten Gefühlen, in Corona-Zeiten forschende Zugänge in Sorgekontexten wie der Langzeitpflege und Krankenhausversorgung zu haben. In den letzten 1,5 Jahren löste die, mehr oder weniger anhaltende, öffentliche Berichtserstattung auf die Lage in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen in der Medienrezeption mancher Menschen ebenfalls Unbehagen aus. Viele waren bewegt, betroffen und ließen sich womöglich anschließend auch von Gründen affizieren, um neue Perspektiven in ihre Alltagswahrnehmung der Selbstverständlichkeiten eines modernen, arbeitsteiligen gesellschaftlichen Zusammenlebens zu integrieren. Aber auch gegenteilige Reaktionen wurden recht prominent vertreten.
Wir möchten Sie einladen, folgend einen weitgehend unverständlichen Text einer Kollegin zu lesen, der Sie womöglich auch mitunter (etwas) unverständlich zurücklassen wird. Ich habe in den letzten Wochen mehrfach versucht, den Text, es handelt sich um ethnografische Tagesnotizen der Arbeitswoche zu Ostern 2021, am Stück zu lesen und bin immer wieder daran gescheitert. Dennoch empfehlen wir es ausdrücklich, sich auf den Text einzulassen. Warum? Weil es lohnenswert ist, sich in diesem hektischen Unverständnis eine kurze Zeit einzurichten. Ja, es nachzuempfinden und sich anregend irritieren zu lassen. Die Unverständlichkeit ist nicht der Kollegin geschuldet, die namentlich nicht genannt werden möchte. Es ist den Bedingungen geschuldet, unter denen die Kolleginnen der Sorgearbeit vor Ort tagtäglich ihren Dienst verrichten.
In den nächsten Tagen wird ein zweiter Teil veröffentlicht. In beiden Blogeinträgen besteht nicht der Anspruch, eine umfängliche, oder gar abschließende, klärende Klammer zu liefern. Aber hoffentlich können sie zum Weiterdenken anregen sowie auch eine Klärung des Gewaltbegriffs liefern, welcher hier weder polemisch, noch inflationär verstanden sein möchte. Alle Namen und Orte sind selbstverständlich adäquat anonymisiert.
Sollte es Sie anregen, Ihre Gedanken mitteilen zu möchten, um gemeinsam vom Text aus weiterzudenken, sind Sie selbstverständlich herzlich eingeladen, die Kommentarfunktion zu nutzen.
Ostern 2021:
Montag 29.3.
Heidi krank, Helga nimmt Otto (neuer Mitarbeiter) zur Einführung mit, Hilde krank, weitere Situation unklar, Fred krank für länger, Mehmet (KPH= Krankenpflegehelfer) krank. Nachtdienst ursprünglich zu 11. Puffer wird abgegeben. Bernd steht nicht im Plan. Dienstplan- Bearbeitung, weil nicht korrekter Personalstand. Massive Bestellungen. Die Erstellung des Stationsleiter-Sitzungsprotokolls verschlingt massiv Zeit (Stationsleitung = SL).
Dienstag 30.3.
Der Nachtdienst war trotzdem zu 11., weil Kerstin nicht eingetragen war. Hin und her mit Frau Schmidt (Organisation der Zeitarbeiter) und Dienstplan, weil Antje Hänsel eigentlich Kerstin heißt und auch ohne Zunamen von Dir im Dienstplan geführt ist. Die Kollegen hatten also einen ruhigen Dienst. Darüber bei Maike und Heike zu Kreuze gekrochen, falls von der Obrigkeit dazu eine Bemerkung kommt.
Bernd wird nachgepflegt im Wochenplan. Mir fällt dann auf, dass er nicht im Dienstplan erscheint. Meldung machen. Malte (Administrator der Dienstplangestaltung) teilt mir seine vorangegangene E-Mail-Korrespondenz mit, ich schreibe Bernd einen Brief, dass er sich doch bitte bei der Personalverwaltung melden soll.
Dienstags Schichten stabil. Oberarzt Sylvester hält mich beschäftigt u.a. wegen der transösophagealen Echokardiographie-Sonde, die angeblich im unreinen Raum (Hier werden Ablassgefäße und Behälter für Urin und Stuhlausscheidungen mittels einer speziellen Spülmaschine gereinigt) hängen soll. Er wartet auf eine Vorrichtung, um die Du Dich kümmern wolltest. Was sagt die Hygiene da eigentlich zu? Gleiches gilt für die Bestellung von Desinfektionstüchern hierfür. Ich organisiere sie, damit die Sonde benutzt werden kann.
No-Gerät der Intensiv 1 von uns an Herzintensiv 1. Röser-Lieferung nicht vollständig, wohl aber Rückstände mitgeliefert. Ich habe keine Zeit dies nachzuhalten. Kellerlisten stimmen nicht, ich habe keine Zeit diese zu korrigieren. Mich ruft jemand an. Wahrscheinlich die neue serbische Mitarbeiterin, die meint, sie hätte Donnerstag ihren ersten Arbeitstag. Ich finde dazu nichts und kontaktiere Frau Schmidt, die aus allen Wolken fällt. Stationstelefon fehlerhaft! Telefonzentrale will mir dieses aber nicht austauschen. Wir versuchen es weiter mit dem gestörten Telefon.
Einpflegen von Mitarbeitertausch. Korrektur des Dienstplans. Uwe Back sagt, er hat nächste Woche Urlaub. Das hätte er euch so auch gesagt. Steht Dienstag und Mittwoch jedoch noch im Plan.
Deshalb nur 8 im Spätdienst am Dienstag. [PPUGV (Pflegepersonaluntergrenzenverordnung) ist in der Corona-Pandemie ausgesetzt. Bei uns eigentlich durch Streik 10 Frühdienst (FD), 10 Spätdienst (SD), 9 Nachtdienst (ND). Wegen der Personalnot wird auch gerne mal darunter gegangen. Im Moment ist dieser Zustand auch nicht durch den Einsatz von Zeitarbeitern oder zeitweise Personalübernahme von anderen Stationen kompensierbar.]
Ich frage Heidi was sie mit Dir wegen Otto (Medizintechnik-Lieferant) vereinbart hat. Sie ist irritiert und ich auch. Monitor spinnt: Medizintechnik informieren. Astra-Zeneca-Patient auf der Station. Junge Frau.
Mittwoch 31.03.
Simone fällt als Puffer weg und muss auf die Ana-Int. Helga und Otto geraten aneinander. Ich habe kaum Zeit mich um irgendwas zu kümmern, weil die Arbeitsbelastung auf der Station hoch ist. Monitor fällt aus. Medizintechnik wurde informiert. Laurent wird verabschiedet. Christina kommt mit verletzter Hand zum Dienst. Fällt in den nächsten Diensten aus! Dienstplan: Verena aus den Nächten gezogen für Do/FR. Suleyman von Frühdienst in Spätdienst.
Otto sagt er hat morgen Schule (nicht im Dienstplan verzeichnet) und außerdem Urlaub, weil er nach Hause müsse Hause. Ab dem 15.4, er bräuchte 1,5 Wochen, da anschließend Quarantäne oder Abstrich. Ich halte Rücksprache mit Fr. Schmidt: Eine Woche eingetragen in Dienstplan. Bitte Jahresurlaub planen.
Ich versuche Schlüssel für neue Mitarbeiter und Zeitarbeiter zusammen zu stellen. Auch hier, schlampige bis gar keine Nachvollziehbarkeit. Ich dokumentiere auf unseren dafür vorgesehenen Zettel, wer welchen Spind hat. Dominic sagt Wertfachschlüssel 3 würde nicht in den Spind passen.
Ich habe keine Zeit. Es kommen immer wieder Bestellungen an. Aber nicht meine. Oder nur teilweise. Es ist viel Radiometerkram gekommen. [Radiometer ist ein Unternehmen der Medizintechnik, welches Apparate zur Durchführung von Blutgasanalysen anbietet. https://www.radiometer.de/] Wie kann es denn sein, dass die Lieferung gemischt im Karton kommt und Glukose, sowie Laktat hier ungekühlt ankommt? Und warum sollen wir es dann nach Stunden kühlen? Irgendjemand sagte, die letzte Lieferung hatte viele abgelaufene Artikel. Ich habe jetzt nicht alles kontrolliert, weil keine Zeit. Mit Herrn Schmitz aus dem klinischen Lager gesprochen und Bestellungen nachgeordert. Kommen heute oder morgen.
Bild/Quelle: Waldemar Brandt/unsplash
Fortsetzung folgt…